Analoges Bild. Blick auf den 17. Juni in Richtung Brandenburger Tor im November 1989. DIe Straße ist komplett voll mit Autos aus dem Osten, die in den Westen fahren wollen. Photo: privat, Birgit L.

35 Jahre Mauerfall: Birgit, angehende Reiseverkehrskauffrau

Schöneberg, amerikanischer Sektor

Ich war damals 23 Jahre (Jahrgang 1966), angehende Reiseverkehrskauffrau, war in Schöneberg, im amerikanischen Sektor großgeworden, wir hatten keine unmittelbaren Kontakte "nach drüben", manchmal gab es eine Beigabe von uns für ein Westpaket und ich freute mich, wenn als Dank wunderschöne Oblaten mit silbrigen Glitzer oder Briefmarken aus der DDR ankamen.

Es gehörte von Kindheit an dazu, dass man irgendwo immer mal an und auf die Mauer stieß, dass Autoreisen stets über die Transitstrecken verliefen, man ein mulmiges Gefühl dabei hatte an den Grenzkontrollstellen, man sich Regelkonform zu verhalten hatte. Wir hatten all diese riesigen Museen "drüben" besucht auf der Museumsinsel, ein Visum zuvor besorgt und West DM in Ost Mark umgetauscht, staunend Kakao getrunken auf dem Fernsehturm, wo das Restaurant sich drehte und dann beim Blick in die Speisekarte überlegt: was ist bitte ein Broiler, eine Grillette oder Kettwurst? Und warum fühlte man sich nur so unendlich weit weit weg und fern ab von zu Hause, etwa nur weil blinkende Coca Colareklame Schilder und die typischen Werbetafeln in diesem scheinbar grauen fremden Stadtbild fehlen?

Größer werdend staunten wir über die erweiterte Wahrheit der DDR TV Sendung: der schwarze Kanal, der in diesen herbstlichen Tagen aus dem DDR Fernsehen tatsächlich verschwand. Ich mochte damals unsere Westdeutschen Besucher nie gern zu den Aussichtsplattformen an die Mauer bringen, damit diese einen neugierigen Blick in den Grenzstreifen warfen, Soldaten oder Bewohner dahinter zu erhaschen hofften. Vor allem aber bewunderte ich im Herbst 1989 den Mut der DDR  Bevölkerung, diese wöchentlichen Demonstrationen wuchsen an Demonstrierenden und der Satz hallte nach: "wir sind das Volk", das machte mir Gänsehaut.

Unbändige Freude und ein Hauch Unsicherheit

So herrschte an dem Donnerstagabend im November in unserem Wohnzimmer trotzdem ungläubiges Staunen, was man da in den TV Nachrichten hörte, das konnte doch nicht sein …. die Mauer soll gefallen sein - Quatsch …. Oder doch, so einfach wech?

Am nächsten Tag wehte jedoch dann dieser leichte blaue Dunst über der Stadt, die überall tuckernden Zweitaktermotorengeräusche der Trabbi Blechlawinen die sich plötzlich durch die Stadt wanden und langsam rollten. Es stank überall nach Abgase, das Mauersteingeklopfe empfand ich laut, beeilt euch bitte, damit die Mauer endlich weg ist …. Diese kaum abnehmenden, lange Schlangen vor den Bankinstituten, die das Begrüßungsgeld auszahlten an die Bürger der DDR , und praktisch dass es 1989 die gesetzlich neu verlängerten Ladenöffnungszeiten im Einzelhandel gab.

Man kam einfach so miteinander ins Gespräch auf der Straße, setzte sich bei Karstadt ins Café, staunte gemeinsam und lies all die vielen Jahre Revue passieren. Da schwang neben der unbändigen Freude aber auch bereits ein Hauch Unsicherheit mit, was diese plötzliche Lebenswende so bringen mag. Mit einer ordentlichen Portion Naivität und Freude stellte ich für mich fest, dass Berlin plötzlich gefühlt ja fast am Meer, der Ostsee lag und sich zukünftig unendliche nahe Reisemöglichkeiten auf tun würden. Ich war bereits in Amerika gewesen, kannte jedoch nicht das Elbsandsteingebirge oder hatte einen Fuß in den Spreewald oder nach Dresden gesetzt .

Wir planten unsere alltäglichen Wege wochenlang gezielt Richtung Brandenburger Tor und der neuen Grenzpunkte, hofften endlich auch die Grenze passieren zu dürfen nach Ost Berlin, was dann allerdings erst zum Weihnachtsfest möglich wurde. Mein Freund und ich fuhren am Weihnachtsabend mit meinem klapprigen VW Käfer erstmals in Rudow über die östliche Sonnenallee nach Britz zurück heim und es war tatsächlich ein erhebendes Gefühl von Freiheit in diesem Moment, genau einfach diesen Weg durch Ostberlin wählen zu dürfen. Warum auch immer verblüfft, dass die Häuser hier, genauso von Bruno Taut & Bauhaus Kollegen erbaut, standen wie jenseits des Grenzstreifens bei uns im Westen …. Eine erste Ahnung kam auf, dass wir wohl einmal eine zusammenhängende Stadt gewesen waren …

Lies die anderen persönlichen Mauergeschichten aus unserer Community hier.

Berlin entdecken Sehenswürdigkeiten Berlin Kurzurlaub Geheimtipp